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Warum wir Geheimnisse brauchen

Zusammenfassung eines Artikels von Ursula Nuber – Warum wir Geheimnisse brauchen

Geheimnisse gehören zum Leben eines jeden Menschen. Nur in den ersten fünf Jahren unseres Daseins kommen wir ohne sie aus. Kleine Kinder sagen immer, was sie denken, und können noch nichts verbergen. Doch ab dem fünften Lebensjahr, wenn wir uns als eigenständiges Wesen begreifen können, werden wir zurückhaltend mit der Wahrheit.

Wohl jeder Mensch hat in seinem Leben etwas, worüber er mit niemanden spricht, etwas, das er sorgfältig geheim hält. Manchmal geschieht dies aus Angst, zu viel Ehrlichkeit könnte auf Unverständnis oder Ablehnung stossen und unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen. Manchmal möchte man einen geliebten Menschen nicht verunsichern oder verletzen. Häufig aber wahrt man ein Geheimnis aus einem ganz anderen Grund, der einem oftmals nicht bewusst ist: Man schweigt, um die Umwelt auf Abstand zu halten und für seine Mitmenschen ein kleines bisschen fremd zu bleiben. Nur so können wir unsere Identität und Autonomie schützen.

Selbstschutz als Motiv für Geheimhaltung? Schweigen, um die eigene Autonomie nicht zu verlieren? Dieser Gedanke irritiert. Gilt nicht Geheimniskrämerei als unreif und moralisch verwerflich? Richtet Unehrlichkeit nicht verheerenden Schaden an? Geheimnisse haben keinen guten Ruf – und daran sind Psychologen und Psychotherapeuten nicht ganz unschuldig. Denn ihr Augenmerk galt bislang vor allem den destruktiven Wirkungen der Geheimhaltung. Nicht nur die Geheimnisträger selbst brechen oft unter der Bürde des Nichtsprechens zusammen, auch Familienmitglieder, die von Geheimnis gar nichts wissen, leiden unter der angespannten Atmosphäre, die Geheimhaltung in Familiensituationen erzeugt. Wer schlimme Erfahrungen für sich behält und seine Gefühle verdrängt, der riskiert, psychisch oder körperlich zu erkranken.

Doch wer ein Geheimnis wahr, der lebt eine zweite Welt neben der Offenbaren. Es gibt ein geistiges Privateigentum, dessen Vergewaltigung eine Lädierung des Ich in seinem Zentrum bewirkt. Diskretion, den Respekt vor der ideellen Sphäre eines Menschen ist unabdingbar. (George Simmel 1908)

Schon lange vor Schimmel, im Jahr 1840, hatte Arthur Schopenhauer auf die Bedeutung der Geheimhaltung hingewiesen. Er postulierte, ein Recht auf Lüge, und zwar dann, wenn etwas geheim gehalten werden muss, dessen Kenntnis mich dem Angriff anderer blossstellen würde.

Kein Geheimnis, das heisst, keine Abgrenzung, kein unabhängiges selbst, keine privaten Briefe oder Tagebücher, kein Raum für eigene Träume, nichts Rätselhaftes. Wenn zwei sich Ich sich in einem Wir auflösen, verschwindet die Freude am Unterschied. Paare, die keine Geheimnisse voreinander haben, gehen häufig in eine Therapie, weil ihre Beziehung langweilig und trist geworden ist.

Gebe ich ein Geheimnis aus Verärgerung preis?

Wenn ein Geheimnis plötzlich eingestanden wird, weil man auf den anderen wütend ist oder sich rächen will, wird die Enthüllung keine befreiende, sondern eine verheerende Wirkung haben.

Will ich mich von einer Last befreien und sie dem anderen aufbürden?

Evan Imber-Black, Therapeutin,  warnt davor, die eigene Schuld auf den Schultern des anderen abzuladen: „Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, ein wichtiges Geheimnis offen zu legen, und sich in ihrer Fantasie ausmalen, Sie seien danach völlig erleichtert, der andere akzeptiere sie voll und ganz und die Sache sei damit ein für alle Mal erledigt, dann sollten Sie dies als Warnsignal betrachten.

Im Grunde gibt es nur zwei wirklich gute Motive, um ein Geheimnis zu lüften, meint Imber-Black. Erstens, wenn man der ehrlichen Überzeugung ist, dass ein anderer Mensch ein Recht darauf hat, das Geheimnis zu kennen, weil dadurch seine eigene Lebenskraft gestärkt wird. Zweitens, wenn man durch seine Ehrlichkeit eine Beziehung retten oder wiederherstellen will.



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