Kommentar / Rezension / Kolumne

Was Männer (uns) kosten: Schockierende Zahlen!

Heute, am 10. Dezember, ist der Tag der ungleichen Lebenserwartung von Männern und Frauen. Entspräche die Lebensspanne von Frauen genau einem Jahr, wären Männer im Verhältnis dazu schon am 10. Dezember tot. Warum?

Statistisch betrachtet haben Männer deutlich höhere Suizidraten, verursachen mehr Verkehrsunfälle als Frauen, entwickeln häufiger Suchtverhalten und ungesunde Lebensgewohnheiten, gehen seltener zum Arzt… weil viele nach wie vor dem patriarchalen Rollenklischee vom harten Kerl nacheifern.

63 Milliarden für das Patriarchat

Wieso sollte uns (lesbische) Frauen das kümmern? Weil wir die Rechnung mitzahlen:

Frauen werden eindeutig häufiger Opfer von Gewalttaten, während 93,9 % der Häftlinge in Deutschland männlich sind. Nein, das ist kein Tippfehler. Du hast richtig gelesen.

Männer werden häufiger kriminell, verhalten sich rücksichtslos gegenüber Umwelt, Klima und Mitmenschen. Das verursacht extremes Leid in irreversiblem Ausmaß. Und es kostet die Gesellschaft jedes Jahr mehr als 63 Milliarden Euro.

Zu diesem Ergebnis kommt Boris von Heesen, Autor des im Mai 2022 erschienenen Buches Was Männer kosten. Er ist Wirtschaftswissenschaftler, Männerberater, engagiert sich in der Sucht- und Jugendhilfe und ist Vater von zwei Kindern. Von Heesen hat den mutigen, längst überfälligen Versuch gewagt, die Kosten, die explizit durch toxisches männliches Verhalten verursacht werden, zusammenzurechnen.

Dabei ist er sehr vorsichtig vorgegangen und hat Bereiche, zu denen keine verlässlichen Quellen und eindeutige Zahlen vorliegen, ausgespart. Der reale finanzielle Schaden liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit also weit über den errechneten 63 Milliarden Euro.

Was Männer kosten – Buchkritik

Das Bemerkenswerte an Was Männer kosten: Das Buch befasst sich nicht nur mit den messbaren Kosten, die durch kritisches männliches Verhalten entstehen. Es wälzt nicht nur kalte Zahlen und Statistiken. Boris von Heesen widmet auch einen Teil des Buches den nicht messbaren Folgen des Patriarchats, wie zum Beispiel politischem Extremismus, Frauenhass und den traumatisierenden Folgen von sexistischer Gewalt.

Dabei argumentiert er sachlich, ohne anzuklagen.

Im letzten Drittel des Buches, das er “Wege aus der Krise” nennt, schlägt er sogar sehr konkrete Lösungsstrategien vor, mit denen Politik, Schulen, Vereine und öffentliche Institutionen, aber auch einzelne Männer und Frauen, dem Patriarchat Stück für Stück den Wind aus den Segeln nehmen können.

Sein Grundtenor dabei ist: Man dürfe Männer nicht für ihr Verhalten dämonisieren, sondern müsse ihnen helfend die Hand reichen und ihnen Wege aus dem patriarchalen Labyrinth aufzeigen.

Männer erfahren durch das Patriarchat viele Nachteile. Sie müssen erfahren, wo ihnen die Gleichstellung der Geschlechter Entlastung und auch Vorteile verschafft.

Was Männer kosten, Boris von Heesen, Seite 189

Dazu gehört offenbar, auch aggressiven, chauvinistischen Machos erst einmal Mitgefühl entgegenzubringen.

Sind männliche Gewalttäter in Wahrheit die Opfer?

Von Heesen, der als Männerberater auch häufig Tätern von häuslicher Gewalt gegenübersitzt, merkt an, die Wurzel toxischen Verhaltens sei meistens Angst.

Dann sprudelt es aus den Männern heraus, dass sie Angst haben, verlassen zu werden, Angst davor, dass andere Männer besser sind als sie, Angst, nicht mehr der Herr im Haus zu sein, Angst, unbestimmten Vorstellung von Männlichkeit nicht zu genügen.

Was Männer kosten, Boris von Heesen, Seite 131

Dem würde ich entgegnen: Frauen haben Angst, geschlagen, misshandelt, vergewaltigt und getötet zu werden. Wiegt das nicht weit schwerer als fragile masculinity?

Sind die armen Männer wirklich so verzweifelt, dass ihnen nur noch Gewalt bleibt, um ihrer unterdrückten Sensibilität Ausdruck zu verleihen? Wird ihnen der Zugang zu den eigenen Ängsten und Gefühlen tatsächlich “in jahrzehntelanger Kleinarbeit abtrainiert”, wie von Heesen es ausdrückt?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass einige Männer überhaupt kein Interesse daran haben, ihr Verhalten zu ändern, weil sie sich in ihrer patriarchalen Machtposition pudelwohl fühlen. Und dann zu sagen: Oh, du Armer, du musst dich ja arg unter Druck gesetzt fühlen, wenn du deine*n Partner*in krankenhausreif prügelst – das geht nicht in meinen Kopf.

Aus diesem Grund fiel es mir an manchen Stellen schwer, von Heesens Diplomatie mitzutragen. Aber er hat natürlich recht. Wenn sich etwas ändern soll, dürfen wir keine Trotzreaktion in den männlichen Tätern triggern, sondern müssen ihnen die Chance geben, ihr Verhalten selbstkritisch zu hinterfragen. Dafür braucht es mehr Therapeut*innen, die für einen vorurteilsfreien Dialog zur Verfügung stehen.

Die unsichtbaren Männer

Das soll nicht davon ablenken, dass selbstverständlich auch Männern Gewalttaten widerfahren. 2019 war jedes fünfte Opfer von häuslicher Gewalt ein Mann.

Foto von MART PRODUCTION, pexels

In der Praxis suchen sie sich aus Angst vor Stigmatisierung selten Hilfe. Von Heesen schreibt, ihnen sei oft überhaupt nicht bewusst, dass ihnen Unrecht widerfahren sei, weil in ihrem Weltbild der Mann als “der Stärkere” nicht zum Opfer werden könne.

Besonders traurig ist dabei: Es sind kaum Hilfsangebote für Männer vorhanden. Viele Polizist*innen, Sozialhelfer*innen etc. verhalten sich zudem voreingenommen und verschließen die Augen, wenn Männer sich hilfesuchend an sie wenden.

Die Gesellschaft fordert von den Männern genau das, was so zerstörerisch ist: Sie sollen ihre Probleme selbst in die Hand nehmen, anstatt darüber zu reden und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Was Männer kosten, Boris von Heesen, Seite 44

Who the Fu** is Me Too?

In seinem Buch kritisiert von Heesen zu recht, der Diskurs über strukturelle Geschlechterungleichheit werde von einer kleinen Bildungselite in einer Bubble geführt und erreiche nicht die breite Bevölkerung. Er beschreibt, dass viele seiner Beratungsklienten noch nie vom Hashtag #metoo gehört haben.

Das deckt sich absolut mit meiner persönlichen Erfahrung. Ich treffe immer wieder Männer (und Frauen!) die denken, Sexismus sei etwas, das zwei Menschen im Schlafzimmer tun, und weder die Begriffe “Patriarchat” noch “Feminismus” richtig einordnen können.

Umso wichtiger finde ich von Heesens konkrete Lösungsansätze im letzten Drittel des Buches, die darauf abzielen, Jugendlichen aller Bildungsschichten das Konzept der Gleichstellung nahezubringen, mehr Aufklärungsarbeit zu leisten und mehr Anlaufstellen sowohl für Opfer als auch Täter zu schaffen.

Zahlen und Fakten wiegen schwerer als die gefühlte Wahrheit

Boris von Heesens Intention ist es, auf die Missstände unserer patriarchal geprägten Gesellschaft in Deutschland aufmerksam zu machen, indem er sie schwarz auf weiß in konkreten, möglichst aktuellen Zahlen abbildet. Zahlen lassen keinen Raum für gefühlte Wahrheiten, und das ist gut so.

Toxisches männliches Verhalten schadet allen, Mädchen und Frauen, Jungen und Männern. Wir müssen dringend über diese Einzelschicksale sprechen. Und damit das endlich passiert, habe ich die Sprache des Patriarchats und des Kapitalismus gewählt: Geld.

Boris von Heesen in einem Interview mit “Stern” vom 30.06.22

Für alle, die das Buch Was Männer kosten lesen, dürften diese Zahlen schockierend sein. Sie bilden ein extremes Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen ab. (Binäre Personen werden dabei nicht berücksichtigt, weil sie von den meisten Statistiken noch nicht gesondert erfasst werden.)

Wer also ernsthaft glaubt, wir hätten die Gleichberechtigung schon erreicht und Feminismus sei nicht mehr nötig, der sollte dringend den ersten Teil dieses Buches lesen.

Besonders Männern, die sich von Feminist*innen angegriffen fühlen und meinen, ihre Privilegien verteidigen zu müssen, lege ich dieses Buch ans Herz. Denn Boris von Heesen zeigt, wie viele schwerwiegende Nachteile das Patriarchat für alle Männer mit sich bringt, und belegt sie mit Fakten.

Fazit: Das Buch bereichert nicht nur feministische Bücherregale. Ich werde mein Exemplar an jemanden weiterverschenken, der sich noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Nur so knacken wir unsere Bildungsbürger-Bubble.

Um so viele Menschen wie möglich in deinem Umfeld und darüber hinaus zu sensibilisieren, teile diesen Artikel oder verschenke das Buch Was Männer kosten zu Weihnachten.

Sämtliche in diesem Artikel genannten Zahlen wurden direkt dem Buch “Was Männer kosten” von Boris von Heesen entnommen.

Wir danken dem Heyne Verlag herzlich für die Bereitstellung eines kostenlosen Rezensionsexemplars. Die Meinung unserer Rezensentin wurde dadurch nicht beeinflusst.

Wenn du dir selbst Männerberatung zum Thema Gewalt, Krise, Vaterschaft, Arbeit, Familie Alter oder Sexualität wünschst oder jemanden kennst, der daran interessiert sein könnte, kannst du Angebote in deiner Region auf Maennerberatungsnetz.de ausfindig machen. Das Portal listet Anlauf- und Beratungsstellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf.



Previous post

Verdient die Liebe eine zweite Chance?

Next post

Periode braun? Was die Farbe des Menstruationsblutes über deine Gesundheit verrät

No Comment

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.