Coming-Out

Ich bin keine Frau, ich bin lesbisch! Fragen und Grenzen der lesbischen Identität.

[cg]Lesbian Identity

1) Intro
2) Was heisst Lesbian Identity
3) Coming Out-Modell
4) Die Geschlechterrolle der Frau
5) Dekonstruktion Weiblichkeit
6) Konstruktion einer weiblichen lesbischen Identität
7) Schluss


1) Intro

Ich bin keine Frau, ich bin lesbisch! Ist dieser Satz paradox und unsinnig? Oder steckt mehr dahinter? Paradox ist er wohl, denn lesbisch ist per Definition eine Frau, die andere Frauen begehrt. Oder steckt mehr dahinter? Wird eine lesbische Frau durch ihr Coming Out dazu gezwungen,  ihre Weiblichkeit, oder die diesbezüglich erlernten Attribute, die sie durch ihr soziokulturelles Umfeld internalisiert hat, in Frage zu stellen? Kann man lesbisch sein erlernen? Ist eine lesbische Frau weniger Frau, warum geben sich viele lesbische Frauen etwas “männlich“? Darf Lesbe auch weiblich sein?

2) Was heisst Lesbian Identity

Es gibt keinen klaren Standpunkt, ob so etwas wie eine lesbische Identität überhaupt existiert und inwiefern sie von Nutzen ist. Klar ist, dass sich durch eine Identifikation mit seiner Sexualität Grenzen und Möglichkeiten ergeben. Grenzen, da man sich mit einer Gruppe, einer Minorität identifiziert, und die Gefahr der Stigmatisierung in Kauf nimmt. Sie gibt aber auch die Möglichkeit, sich in seiner anders erlebten Sexualität nicht alleine zu fühlen und Gleichgesinnte zu treffen. Eine lesbische Gemeinschaft hat den Vorteil, wesentlich stärkeres Instrument für politische Anliegen wie die Integration des lesbischen Lebensstils als normale Art und Weise in der Gesellschaft zu fordern.

Selbstbild der Lesbe

Verhalten: Ich lebe einen lesbischen Lebensstil, was bedeutet, dass ich mich unabhängig von Männern gebe und mich emanzipiere vom Patriarchat.
Gefühle: Ich empfinde Begehren, Sehnsucht und Liebe für Frauen
Kleidung/Auftreten: Butch oder Femme, Kampflesbe, Lipsticklesbe, Vanillelesbe etc.

Dabei ist zu beachten, dass es ganz klare Codes innerhalb der Szene gibt. Die boxershortstragende auf der einen Seite kahl rasierte, parisiennerauchende und lederjacketragenede Lesbe in einem burschikosen Look wird schneller und besser in der Szene als anerkannt und als integriert angesehen als eine Lesbe, die sich vollkommen frei in ihrer Erscheinung gibt. Noch weniger integriert wird, doch in letzter Zeit immer mehr zu sehen, und als Lesbian Chic definiert, ist die Lesbe, die gekonnt mit ihrer Weiblichkeit spielt, meistens lange Haare hat und kein Wert auf Männerkleidung legt. Sie wurde vor 15 Jahren noch sehr abgewertet, doch in den letzten 5 Jahren ist ein Trend feststellbar, dass Lesbe auch weiblich sein darf. Ursache dessen ist die heutige grosse Toleranz gegenüber Homosexualität, so dass es nicht mehr von Nöten ist, sich klar gegenüber der Gesellschaft abgrenzen zu müssen. Früher war das Butch/Femme Modell eine Spielwiese weiblicher Homosexualität, heute jedoch sind feminine Lesben öfters anzutreffen, die über wenig Erfahrungen über die Queer-Bewegung und Emanzipation haben.

Fremdbild der Lesbe

Verhalten: Sehr männlich, manchmal etwas extrem
Gefühle: Männer hassend
Kleidung: Männlich, Mann-nachahmend

Es erstaunt daher nicht gross, dass viele Frauen, die sich zu ihrem Lesbischsein bekennen, sich mit dem Fremdbild der Lesbe nicht identifizieren können und wollen, und nicht in eine Gruppe aufgenommen werden möchten, die über ein immer noch schlechtes Image verfügt. Solche Lesben, die nun zunehmend mehr werden, werden in der Regel nicht als lesbisch erkannt, dabei wäre es ein wichtiger Schritt, dass auch solche Lesben eine Lesbian Identity annehmen, und sich proaktiv sich als lesbisch zeigen, denn nur so können die Vorurteile langfristig abgebaut werden.

3) Das Coming Out-Modell: Phasen zur Findung der Lesbian Identity

1) Identitätskonfusion
In dieser Zeit lernt Frau, dass sie anders ist, dass sie anders begehrt als andere Frauen. Sie nimmt es oft als starke Konfusion ihrer eigenen Identität wahr, und denkt oftmals, dass etwas mit ihr nicht stimmen kann oder muss. In dieser Zeit ist die eigene Psyche destabilisiert und Frau unternimmt Versuche, dieser entgegenzuwirken, indem sie sich auf Männerbeziehungen einlässt oder aber, indem sie Material über Homosexualität sucht. In diesem Stadium erkennt sie, dass ihre Gedanken und Gefühle homosexueller Natur sein könnten, findet dies jedoch inakzeptabel.

2) Identifikationsvergleich
In diesem Stadium beginnt Frau zu akzeptieren, dass sie möglicherweise homosexuell sein könnte. Sie denkt positiv darüber nach, dass sie vielleicht anders fühlen könnte. Sie akzeptiert, dass sie Frauen liebt und begehrt, kann sich aber mit Lesben oder einer intrinsischer lesbischer Identität nicht identifizieren.

3) Identifikationstoleranz
In dieser Phase akzeptiert sie, dass es okay sein könnte, wenn sie homosexuell ist, und erkennt, dass sie ein sexuelles und emotionales Bedürfnis hat, als homosexuell zu gelten, und nur durch die Akzeptanz dessen, ganz und vollkommen ihre Wünsche und Bedürfnisse ausleben kann, ohne sich verstecken oder Scham empfinden zu müssen. Erst in dieser Phase ist es für sie möglich, Kontakt zur lesbischen Subkultur zu suchen. Dadurch erlebt sie zum ersten Mal das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, mit all ihren positiven und negativen Aspekten.

4) Identitätsakzeptanz
In dieser Phase akzeptiert sie sich als Lesbe, hat ein lesbisches Selbstbild und verkehrt in grösserem Masse in der lesbischen Subkultur. Sie durchschaut zunehmend die Vorurteile gegenüber Lesben und hinterfragt sie, baut eine Antipathie gegenüber Personen, die homophobisch sind, auf.

5) Stolz – Identity Pride
Eine Frau, die diesen Punkt erreicht hat, verkehrt weniger in einer heterosexuellen Umgebung als in ihrer gewählten homosexuellen Umgebung. Sie differenziert die Welt in gay oder nicht gay. Sie konfrontiert ihre Umgebung mit ihrer Homosexualität. Wäre sie in einem früheren Stadium aufgrund ihrer Homosexualität stigmatisiert worden, hätte sie dies in ihrer Persönlichkeit verunsichert und verletzt. In diesem Stadium legt sie jedoch keinen wert mehr auf Personen, die homophob sind. Hier kann sie extreme Züge, auch abwertend gegenüber Heterosexuellen annehmen.

6) Synthese
In diesem Stadium lebt sie ihre lesbische Identität mit anderen Aspekten. Sie ist lesbisch und begehrt damit Frauen, doch sie erkennt, dass es auch andere Aspekte als die Sexualität gibt, die ihre Persönlichkeit definieren. Ihre Sexualität ist wichtig, doch nicht einziger Aspekt in ihrer Beziehung zu anderen Menschen.

4) Die Geschlechterrolle der Frau

Geschlechterrolle oder Geschlechtsrolle (engl. gender role) nennt man die Verhaltensweisen, die in einer Kultur für ein bestimmtes Geschlecht als typisch oder akzeptabel gelten, was jedoch nicht damit gleichgesetzt werden darf, was weiblich oder männlich ist. Die bekannteste Norm für kulturelle Geschlechtsrollen dürfte die heteronormative oder patriarchalische sein, welche im Westen seit Beginn des vorigen Jahrhunderts zunehmend in Frage gestellt und modifiziert wird. Aspekte unserer heutigen Geschlechterrolle als Frau in einer immer noch heteronormativen und patriarchalen Welt sind:

Frauen
Abhängig von und unterworfen einem männlichen Beschützer (Vater, Ehemann etc.)
Zuständig für die sozialen Bindungen innerhalb der Partnerschaft und Familie
Schwach, emotional und irrational, ausgleichend, sexuell passiv oder desinteressiert
Frauen als auf „Jäger“ angewiesene „Brutversorgerinnen“
(Quelle: Wikipedia, 3. 2010)

Es erstaunt daher nicht, dass Lesben ihre Weiblichkeit aberkannt wird, da sie sich nicht oder kaum mit dieser noch heute geltenden Rolle identifizieren wollen oder können. Vielmehr sind sie durch ihr Coming Out gezwungen, diese ihr zugeschriebenen Attribute, die sie zu erfüllen hat, in Frage zu stellen.


5) Dekonstruktion Weiblichkeit

In einer frühen Phasen muss die angehende Lesbe erkennen, dass sie keinen männlichen Beschützer haben wird, und dies für sie auch nicht erstrebenswert ist. Sie empfindet sich auch nicht als schwach, emotional oder irrational. Sie merkt zunehmend, dass sie als Lesbe nicht länger der ihr zugeschriebene Rolle unterwerfen können wird und – in einem zweiten Schritt – dass sie dies auch nicht weiter tun will. Im Gegenteil. Sie dekonstruiert ihr Bild von Weiblichkeit, das sie durch ihre Erziehung und ihre soziokulturelle Umgebung übernommen hat. Sie stellt es in Frage und viele erleben diesen Schritt als Befreiung ihrer Weiblichkeit.

6) Konstruktion einer weiblichen lesbischen Identität

Viele wenden sich der ihr zugeschrieben Rolle so ab – sozusagen – als übertriebene Gegenreaktion, dass sich vor allem als männlich geltende Attribute bei ihr ausbilden. Sie werden nun als männlich angesehen. Viele durchlaufen deshalb starke Butchphase, bevor sie sich definitiv und ausgeglichen wiederfinden können. Diejenigen Frauen, die sich mit den Butches identifizieren, übernehmen vielleicht das geltende Bild einer lesbischen Identität und die ihr zugeschriebene Rolle, wie Lesbe sein muss und kann. Sich dennoch eine eigene lesbische Identität frei von Codes zu schaffen, kann als grundlegende Herausforderung angesehen werden. So können wir auch ganz klar zwischen femininen Lesben und Femmes unterscheiden. Feminine Lesben haben ihre Geschlechterrolle als Frau nie in Frage gestellt, Femmes hingegen haben ihre Weiblichkeit dekonstruiert und eine eigene, neue lesbische Identifikation geschaffen. Zum Beispiel können feminine Lesben als “männlich geltende Lesben nicht akzeptieren, Femmes erkennen jedoch, dass eine Butchenicht weniger Frau als eine Femme ist. Sie trägt nur eine von ihr anders definierte Weiblichkeit zur Schau.

7) Schluss

Ich bin keine Frau, ich bin lesbisch
Es ist ein falscher Ansatz, lesbischen Frauen ihre Weiblichkeit abzuerkennen, nur weil sie die Geschlechterrolle, die einer Frau in der noch immer patriarchalen Welt zugeschrieben wird. Frau ist nicht weniger Frau, bloss weil sie sich nicht so gibt, wie es die Gesellschaft von ihr als Frau erwartet. “Ich bin keine Frau, ich bin lesbisch”, ist deshalb ein Trugschluss, egal, ob die lesbische Frau Femme oder Butch ist. Dieser Satz “ich bin keine Frau”, sagt bloss aus, dass Lesbe sich nicht per se als Frau definiert, wie es das soziokulturelle Umfeld von ihr erwartet – egal ob ihre Neukonstruktion ihrer neuen befreiten und emanzipierten Weiblichkeit – von ihrem Umfeld als weiblich oder eben nicht weiblich anerkannt wird. Genauso wenig ist die homosexuelle Frau weniger lesbisch, wenn sie weiblich in Erscheinung tritt. Hier muss sich auch die Subkultur noch etwas in Toleranz üben, denn die strengen Codes von früher, die als Identifikation von Lesben dienten, sind nicht mehr gültig und aufgebrochen. Auch innerhalb der Szene herrscht grosse Intoleranz, was paradox klingt, da gerade die Lesben von Aussen so viel Toleranz für sich fordern.

Kann Lesbe weiblich sein?
Lesbe kann nicht nur weiblich sein, sie darf es auch!

Ist eine lesbische Frau weniger Frau?
Im Gegenteil, sie ist vollkommen Frau, da sich sie sich befreit hat von dem, wie Frau sein und sich geben muss! Sie kann all jene Züge ausleben, über die sie verfügt. Wer sagt schon, dass Frau nicht auch durchsetzungsfähig und aktiv sein darf? Wer bestimmt, dass Frau nicht auf Aufriss gehen darf, und ihre Begehren aktiv leben kann?

Wieso geben sich so viele Lesben männlich?
Bevor man diese Frage stellt, sollte man zuerst darüber nachdenken, was überhaupt männlich und was weiblich ist, und inwiefern diese Begriffe durch soziokulturelle Erziehung übertragen worden ist. Nein, eine Butch ist nicht weniger Frau, sie ist durchaus weiblich, so wie sie es für sich definiert. Auch Frau darf breite Hosen und eine Krawatte tragen. Doch es ist ein anderes Thema, wenn die Szene von ihren Lesben fordert, sich den üblichen Codes anzupassen, und Lesbe nur männlich sein dar Sie soll auch total weiblich sein dürfen, ohne sich den gesellschaftlichen Norm unterworfen zu haben, was ihr viele “männliche“ Lesben vorwerfen.

Kommentar der Redaktion: Wir sind grundlegend für mehr Toleranz innerhalb der Szene und gegen jede Codes, die Lesben diktieren, wie sie sich zu geben oder wie sie auszusehen hat. Wir tragen das Gedankengut der Emanzipation und der Queer Bewegung mit uns und setzen uns aktiv gegen jegliche Form der Diskriminierung von Homosexuellen, Butches, Femmes, Transgenders, Drags und Transsexuellen innerhalb und ausserhalb der Szene ein.

Weiterführende Links:
www.abq.ch
www.familienchancen.ch



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2 Comments

  1. Bela
    13. Februar 2011 at 19:43

    Generell verliebe ich mich in Menschen und nicht in ein Geschlecht, bin aber nicht fähig, mehr als eine Beziehung aufs mal zu pflegen. Nach einer langen Ehe bin ich geschieden und lebe mit meiner Frau zusammen. Musste ich mir als Ehefrau gefallen lassen, als Rabenmutter und zu eigenständige Gattin kritisiert zu werden, weil ich weder meinen Beruf noch meine Entscheidungsfreiheit aufgab, sehe ich mich nun dem Vorwurf ausgesetzt, nicht männlich genug zu sein. Dabei möchte ich nur ICH selber sein und als das respektieret werden, als eine Frau, die liebt und genug Selbstvertrauen hat, auch eine ungewöhnliche Beziehung einzugehen und diese zu geniessen. Ohne mich igendwelchen Konventionen zu unterziehen, die mir nicht zusagen. Ich bin vielleicht gerade deshalb lesbisch, weil ich die Polarisierung männlich/weiblich hinter mir lassen will und mich einfach als Frau definiere, die eine Frau liebt.

  2. D.
    16. März 2010 at 12:02

    Äusserst interessant! Die grundlegende Theorien sind mir in Gender-kursen meines Studiums zwar schon begegnet, jedoch fand ichs sehr spannend eure Interpretation für die Lesbenwelt zu verfolgen. Der Kommentar der Redaktion empfinde ich an dieser Stelle wichtig, da man sonst eine sehr einseitige Sicht bekommt… und ich war etwas irritiert, dass ich mich nicht wirklich im Coming-out-Modell wieder finden konnte. Aber ich denke ist eigentlich auch logisch… in unserem differentiellen Aufwachsen pluralisierter Lebenswelten können Modelle kaum auf jeden zutreffen (man muss wahrscheinlich schon froh sein, wenn sie ansatzweise zutreffen).

    Für mich stellte sich in letzter Zeit aber eher die Aussage heraus: ich bin ich (zwar auch Frau und weiblich, … und lesbisch) … aber dennoch einfach ich… ich mag Erdbeerschokolade, ich studiere leidenschaftlich gerne… könnte nicht ohne meinen Kater sein… und ich bevorzuge Frauen bei der Partnerwahl… aber macht das aus mir eine “Lesbe”… oder bin ich nicht einfach “ich” mit unterschiedlichsten Eigenschaften?
    Mich stört es gar nicht,… eine “Lesbe” genannt zu werden… ein Teil von mir befindet sich nämlich noch in der Identity-Pride-Phase und ist stolz drauf. Aber in meinem Alltag… bin ich doch einfach nur ich… mal sportlich, mal feminin und in Gegenwart von einer begehrten Frau genau so nervös und schüchtern, wie alle Heteros in ihrer heteronormativen Lebensweisen.
    Ich glaube solange man glücklich mit sich selbst ist, ist es egal “wie” man sich schlussendlich definiert.

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