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Gedanken zur Treue – Ein verwegener Versuch

Ich gebe es zu, ich war nicht immer treu. Eigentlich war ich sehr untreu. Nein, um wirklich ehrlich zu sein, das Wort Treue galt in meinem Wortschatz nicht als etwas Erstrebenswertes. Ich habe die Treue verachtet, verpottet, verhöhnt. Treue Menschen, das waren für mich nur Heuchler, die nicht zugaben, Andere zu begehren. Treue Menschen, das waren für mich nur bürgerliche Idioten, die Angst vor dem Verlust hatten, die Angst hatten, das Risiko einzugehen, unfähig, sich der Leidenschaft des Moments hinzugegen. Treu sein, das war etwas für Anfänger.

Früher, als ich noch an Treue glaubte, da war ich es auch; zugegebenermassen war es nicht immer einfach, doch ich achtete meine Liebste, so wie sie mich achtete; oder eben missachtete. An einem langen, klaren Winterabend, als ich des Schlafens müde, im Wissen um mein baldiges Endniss einen langen Weg ging, den Weg von der Wartsratte 68, zur Wartstrasse 140. Schnee pflügte meinen kalten einsamen Weg und meine Schritte zogen Spuren, Spuren, die ich nie mehr verwischen konnte. Kurz vor ihrer Tür, der Tür meiner damaligen Freundin, meiner ersten grossen Liebe, hielt ich inne. Wollte ich es wirklich wissen, wollte ich diesen Weg gehen, diesen Weg, der vielleicht endlos war? Endlos voller Schmerz und Verzweiflung, diesen Weg,bei dem es vielleicht kein zurück mehr gab? Es waren nur Sekunden, ich war ängstlich, unentschlossen, ob ich diese Erkenntniss, die vielleicht mein Leben für immer verändern würde, tragen konnte. Ich zuckte, zog meinen Schlüssel zurück und machte kehrt. Ging die Treppen hinunter, als Versarger, als ein Mensch, der lieber die Lüge leben wollte, als in Wahrheit zu sterben. Doch ich konnte nicht, ich konnte nicht weitergehen. Die ganze Frage des Lebens beschränkt sich doch darauf, ob wir die rote oder die blaue Pille nehmen wollen. Rot steht für die bittere Wahrheit, blau für all die Lügen, all die Selbstlügen, die uns das Leben leichter machen. Bevor ich die Blaue jedoch definitiv schluckte, machte ich kehrt, spuckte sie aus auf den noch reinen Schnee, der zart am Boden lag, und immer noch versuchte, mich zu warnen und mir befahl: “Nimm sie, die blaue Pille und rette dein Leben!” Doch ich konnte nicht, ich konnte meinen Selbsthass nicht länger ertragen, ging behutsam und voller innbrünstiger Angst, Schritt für Schritt, jeden Schritt quälender, die Stufen hoch, und schloss die Tür auf.

Was ich sah, obschon ich es im vorhinhein schon wusste, konnte ich nicht ertragen, ich wollte es nicht sehen, nicht glauben, doch ich konnte mich der Warheit nicht länger entziehen, da die rote Pille ihre unendliche Macht entfaltete. Sie schmeckte scheusslich, scheusslich war mein Anlitz, scheusslich war die Szenerie, die sich mir, meiner damaligen Freundin und ihrer Affäre zeigte. Ich keuchte und schnappte vergebens nach Luft, und und als ich meinen ersten Atemenzug meines neuen Lebensabschnittes in mich hineinwürgte, fing ich an, alles zu verachten, was mir früher wichtig war. Ich verrachtete mich, ich verrachtete meine erste grosse Liebe, ich kotzte auf die Liebe, ich spottete meiner selbst, und ich verrachtete, ich verrachtete die Treue. Unsere Treue, die sie nun begraben hatte.

Den weiteren Weg, den ich nun ging, würden Psychotherapueten als Identifikation mit dem Aggressor betiteln. Väter schlagen Kinder, die später ihre eigenen Kinder schlagen. Ich spottete der Liebe und genoss es fürchterlich, jede Frau, die mir vertraute, in den Dreck zu ziehen. Jeder Frau, die noch an Treue glaubte, ein fürchtliches Ende zu bereiten. Ich nahm die rote Pille und lebte ein Leben ohne jedes Vertrauen, ohne jeden Respekt und ohne jede Treue.

Ich war ein Anfänger als ich noch an Treue glaubte und wurde nun zu einem fortegschrittenen Arschloch. Ich versuchte zu verzeihen, doch ich konnte es nicht. Der Hass auf meine Freundin ging in Selbsthass weiter und ging so weit, alle Frauen, die mir zu nahe kamen, aufs Übelste zu bestrafen. Schon während einer Beziehung ging ich lautlos fremd und pflegte mit meiner damaligen Affäre, sobald meine alte Beziehung der Untreue wegen losgelöst war, zusammenzukommen. Liebe Leserin, auch meine jetzige Beziehung ist so entsanden. Vielleicht liebte ich sie, doch wahrscheinlich war ich der Liebe kaum fähig, sie liebte jedoch mich und dafür bestrafte ich sie auf das Innigste.

Liebe Leserin, ich bin nicht glücklich und ich war es nicht. Glücklich war ich in dem Moment, als ich meine erste grosse Liebe sah und auf das Höchste ewige Liebe schwor. Glücklich war ich nie, bei keinem Seitensprung und bei keiner Trennung, bei der ich eine weitere Frau verlor, die mich liebte. Auch meine jetzige Freundin wollte abermals gehen und in meinem Innersten hoffte ich, sie möge gehen, um nicht weiter Opfer meines Hasses zu sein. Doch sie ging nicht, ich liess sie nicht gehen. Ich konnte sie nicht gehen lassen. Ich war verzweifelt und ängslich, ich bin es noch jetzt, und jetzt, wo ich mir meiner Liebe zu ihr bewusst werde, überkommt mich eine unheimliche Angst, die ich nicht von mir stossen kann. Verlustangst. Die Angst, jemanden zu lieben und verlassen zu werden, die Angst, die ich nie mehr wieder spüren wollte seit jenem verschneiten Abend. Sie ist zurück.

Ich war ein Anfänger als ich an die Treue glaubte. Ich war fortgeschritten, als ich sie verrachtete, und nun, glaube ich zumindest, wo ich wieder Liebe finde, Liebe zulasse, Liebe annehme, denke ich, hoffe ich auf das Verrückteste, kann ich meiner Treue, unserer Treue wieder eine Chance geben. Ich habe Angst und fürchte und weine, dass ich jenes verschneite Erlebniss an der Wartstrasse 160 wieder erleben werde, dass ich wieder Opfer statt Täterin sein werde. Doch, so sei es nun, wage ich es, und gehe einen Schritt weiter.

Vielleicht ist Treue nur was für Anfänger, vielleicht ist es etwas für Versager, doch in meinem Herzen schlägt wieder ein Funke, wenn auch nur schwach, doch stark spürbar. In meinem Herzen, Liebtse, war ich dir immer treu, es tut mir leid, mögest du mir irgendwann verzeihen.

Ich liebe dich.

[cg]



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2 Comments

  1. 5. Oktober 2010 at 1:23

    Danke für die Infos. Schöner Blog …..und subscribed :-)

  2. 13. Mai 2010 at 18:36

    Schöner Artikel – davon will ich gerne mehr lesen!

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